Bürger haben Angst vor Schlamm

mittelhessen.de 2012
15.06.2012, http://www.mittelhessen.de,
Thorsten Gütling

In Aumenau regt sich Widerstand gegen ein Versuchsfeld der Uni

Foto: PrivatVillmar-Aumenau.
Nicht erst ein Mal hat der Regen Schlamm in die Häuser der Leistenbachstraße gespült. Zuletzt stand der Bahnhof unter Wasser. Geschädigte Anwohner setzen sich jetzt zur Wehr. Im Visier: die Universität Gießen, die zwischen Münster und Aumenau ein Versuchsfeld betreibt.

Die Fassade des Aumenauer Bahnhofs ist immer noch voller Schlamm. Das wird auch erstmal so bleiben, vielleicht schickt die Uni Gießen ja doch noch einen Sachverständigen vorbei, hofft Andreas Städtgen, der Eigentümer des Bahnhofgebäudes, und dann sollen die Spuren noch sichtbar sein.


Aber danach sieht es vorerst nicht aus. Zu eindeutig war das Antwortschreiben, das Städtgen diese Woche aus Gießen erhalten hat: Der "Gladbacher Hof" und damit die Universität sind nicht Schuld an den Schlammabgängen vom 23. Mai, steht darin zu lesen.

Aber Städtgen ist sich ganz sicher: Die braune Brühe kam am besagten Tag die Kreisstraße 468 aus Richtung Münster nach Aumenau geschossen. Der Schlamm stammt von einem Feld entlang der Straße, das die Universität Gießen als Lehr- und Versuchsfeld betreibt - das haben die Schlammspuren eindeutig gezeigt, denen Städtgen tags darauf gefolgt ist. Dort wurde nicht ordentlich vorgesorgt, sagt Städtgen. Dort haben die jungen Maispflanzen auf dem abschüssigen Gelände den starken Regenfällen nicht Stand gehalten.

Es wäre nicht das erste Mal: Entlang der Leistenbachstraße sind in den vergangenen Jahren immer wieder Häuser zu Schaden gekommen, zuletzt vor vier Jahren. Damals kamen Wasser und Schlamm von einem anderen Feld, das aber auch zur Hessischen Staatsdomäne "Gladbacher Hof" gehöre. Und damals hat es die Häuser von Elke Weiner und Pia Ohr getroffen.

Nach dem Vorfall wurde auf dem Grundstück der Domäne ein Graben gezogen. Ein deutliches Zeichen, dass die Uni ihre Schuld eingesehen hat, findet Weiner. Eine Entschädigung hat sie trotzdem nicht bekommen. Nicht einmal eine Entschuldigung.

Auch nach den Schlammabgängen im Mai müssen Weiner und Ohr ihre Häuser neu streichen. Ganz unbeschadet sind sie auch diesmal nicht davon gekommen. Aber Andreas Städtgen und Klaus Ahlborn drohen auf den weit größeren Schäden sitzen zu bleiben. Auch Ahlborns Haus stand unter Wasser. Er bewohnt das frühere Verladehäuschen der Harz-Lahn-Erzbergbau AG. Unter anderem hat ihm die "Flut" einfach eine Treppe zu seinem Grundstück weggerissen.

Zusammen haben sich die damals wie heute Geschädigten nun einen Anwalt genommen. Ihnen geht es ums Prinzip: "Die Gemeinde muss der Uni sagen, dass der Maisanbau auf bestimmten Flächen gestoppt werden soll", sagt Ahlborn. Es gehe schließlich um die Sicherheit der Villmarer Bürger. Sie fühlen sich von der Gemeinde im Stich gelassen.Der Ton, den die Universität anschlägt, weckt in Aumenau zusätzlich Unmut

Das sieht man im Rathaus des Marktfleckens ganz anders. Bürgermeister Hermann Hepp (CDU) sagt: "Das ist privater Grund und Boden. Da können wir nicht vorschreiben, was angebaut wird." Die Hessische Staatsdomäne sei allerdings verpflichtet, sich an die "Cross Compliance"-Richtlinien zu halten, wonach Fördermittel nur ausgezahlt werden, wenn bestimmte Umwelt-Standards eingehalten werden. Überprüfen müsse das das Amt für Regionalplanung.

Bauamtsleiter Fabian Buchhofer hebt hervor, dass Gemeinde und Kreis nach den jüngsten Überschwemmungen das Menschenmögliche getan hätten, um eine Wiederholung des Ganzen so gut wie möglich zu verhindern.

In den Graben neben der Kreisstraße seien noch größere Steine gelegt worden, um dem Wasser noch größeren Widerstand zu bieten. Alle Abflüsse seien frei geräumt worden - "mehr geht nicht", sagt Buchhofer. "Für das nächste Ereignis sind wir gewappnet."

Der Bürgermeister ist da vorsichtiger. Erosionen wie in Aumenau, sagt er, werde es immer wieder irgendwo geben. Für ein Regenrückhaltebecken sei einfach kein Platz.

Das ist nicht gerade das, was die Anwohner der Leistenbachstraße hören wollen. Sie trauen dem Frieden nicht. Spätestens nach der Ernte im Herbst, befürchten sie, könnte sich bei starken Regen das ganze Drama wiederholen. Sie träume nachts bereits von Schlamm, klagt Pia Ohr, und traue sich gar nicht mehr zu verreisen, aus Angst um ihr Haus. "Wenn es anfängt zu regnen, läuft man wie ein Brummkreisel umher", sagt sie. "Nervlich bin ich am Ende", sagt auch Elke Weiner.

In einem Brief fordern die Geschädigten jetzt Kreis und Gemeinde zum Handeln auf.

Dazu beigetragen hat auch der Ton, den die Universität in ihrem jüngsten Schreiben an Städtgen angeschlagen hat, als dieser um Schadensregulierung bat. Frech und arrogant nennt Städtgen den. Auf seinen Bildern sei nicht erkennbar, wann sie aufgenommen wurden, steht da. Von "abstrakten Schadensbildern" ist die Rede und dass die Reinigung der Kanäle und Einläufe entlang der Kreisstraße und am Bahnhof nunmal nicht in den Zuständigkeitsbereich der Uni falle.

Außerdem folge allein aus der landwirtschaftlichen Nutzung eines Grundstückes noch keine Verkehrssicherungspflicht. Eine Gefahrenquelle sei nicht geschaffen worden, es ist von "Naturkräften" die Rede und von einem "allgemeinen Lebensrisiko". Schadensersatz werde man daher nicht zahlen."Das ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden ordentlichen Geschäftsmanns", sagt Städtgen. "Wer Scheiße baut, muss sie auch wegräumen." Und dass die Universität entweder bei der Absicherung oder der Bepflanzung ihres Versuchsfeldes einen Fehler gemacht hat, steht für die damals wie heute Betroffenen außer Frage. Bevor die Universität dort forschte, hätte es nämlich keine solchen Fluten gegeben. "Ab der Wasserscheide muss Wiese bleiben, hat man mir als Kind immer gesagt. Jetzt weiß ich auch warum", sagt die 64 Jahre alte Elke Weimer.

"Es ist zu klären, ob die Leute mit einer solchen Gefahr leben müssen"

"Es wird nun zu klären sein, ob die Leute in Aumenau mit einer solchen Gefahr leben müssen, oder nicht", sagt Bauamtsleiter Buchhofer. Solange stellt er dem Land schon mal die Aufräumarbeiten der Gemeinde in Rechnung. 13 000 Euro hat der Einsatz von Feuerwehr, Bauhof und Reinigungsfirmen entlang der Leistenbachstraße, einer Landesstraße, am 23. Mai gekostet.

Und auch der Kreis fordert Geld. Der Schaden entlang der Kreisstraße 468 nach Münster dürfte irgendwo zwischen 20 000 und 25 000 Euro liegen, schätzt Kreissprecher Bernd Kexel.

Wer das bezahlen soll, wird sich zeigen, denn der "Gladbacher Hof" verfügt über keinerlei Haftpflichtversicherung. Von der Pressestelle der Uni Gießen ist zu erfahren, dass diese als Landesbehörde ein so genannter Selbstversicherer sei und damit zum Abschluss von Versicherungen überhaupt nicht berechtigt. Das heißt: In Schadensfällen müssen die entstehenden Kosten aus Haushaltsmitteln und somit Steuergeldern beglichen werden.

Den Anwohnern der Leistenbachstraße geht es eher zweitrangig um Geld, wie sie immer wieder betonen. Sie fühlen sich unsicher. "Nächste Woche soll es wieder stark regnen", sagt Weiner. Der Boden ist noch immer feucht. Ihr sei schon ganz mulmig.

Originalartikel unter: http://www.mittelhessen.de,